Die Möglichkeit auf einem iPad 3D-Modelle zu erstellen gibt es schon viel länger, als die meisten Leute wahrscheinlich denken. Vor ca. 12 Jahren erschien mit Forger eine der ersten Apps dieser Art. Damals mit noch rudmentären Funktionen, hat sich die Software zum Modellieren von 3D-Modellen in den letzten Jahren immer weiter entwickelt und an Popularität gewonnen. Einer der Hauptgründe, warum solche Anwendungen erst jetzt wirklich nutzbar sind, ist wohl die bisherige Beschränkung der Hardware. Mit dem Erscheinen immer leistungsfähigerer Tablets und nicht zuletzt wegen Apples M1 Chip, sind selbst solche rechenintensiven Aufgaben inzwischen für Tablets, Laptops und sogar Smartphones kein Problem mehr.
Doch erst mit dem Erscheinen von Nomad Sculpt im Jahr 2020, bekommt diese Nische immer mehr Bedeutung und Aufmerksamkeit und erfreut sich seitdem großer Beliebtheit. Die Möglichkeit, selbst komplexe Szenen zu modellieren ist nicht nur für professionelle Künstler interessant, sondern auch für Menschen, die gerne 3D-Druck betreiben oder sich kreativ betätigen wollen.
Beide Apps sind sehr leistungsfähige Sculpting-Programme mit einer breiten Palette von Werkzeugen und Pinseln, die man auch in ZBrush, Blender oder Maya findet. In beiden können 3D-Modelle erstellt, bemalt und anschließend nachbearbeitet oder in andere Dateiformat wie z.B. OBJ oder STL-Dateien für den 3D-Druck exportiert werden. Der Funktionsumfang der Apps wird stetig verbessert und erweitert, hinkt aber natürlich professionellen PC-Programmen wie ZBrush hinterher. Man sollte jedoch immer wieder bedenken, dass sich hinter den Apps teilweise sehr kleine Entwicklerstudios verstecken und die Apps nur einen Bruchteil von dem kosten, was die professionellen Lösungen allein monatlich kosten. Zbursh kostet momentan 32,69 €/Monat, wohingegen man für Nomad Sculpt nur einmalig 14,99 € zahlen muss (Stand Mai 2022).
Der große Vorteiler einer mobilen Sculpting-App für Tablets ist, dass man daheim oder im Studio an Projekten arbeiten und diese dann auf Reisen, im Urlaub oder anderswo auf dem Tablet fortsetzen kann. Die Tatsache, dass man seine Projekte ohne großen Aufwand hin und her exportieren kann, erspart viel Zeit und Energie. Außerdem wird der noch relativ unbekannt Bereich der 3D-Modellierung einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. Die App sind i.d.R. intuitiver zu bedienen und als kompletter Anfänger leichter zu erlernen. Es lassen sich realtiv schnell Fortschritte erkennen.

Für wen ist 3D-Modelling geeignet?
Ich komme ursprünglich aus dem Bereich der traditionellen Modellierung (siehe auch meine andere Website zu dem Thema Sculpting), interessiere mich aber schon seit langem für das Thema digitale Modellierung. Ich hatte in der Vergangenheit bereits einige Berührungspunkte mit Programmen wie Blender und ZBrush, bin mit diesen aber nie wirklich warm geworden und war von der Komplexität und Bedienung der Programm völlig überfordert. 2020 habe ich dann Nomad Sculpt entdeckt, dem ganzen noch eine Chance gegeben und mich relativ schnell zurecht gefunden. Das Wissen, welches ich mir über die App angeeignet habe, hat mir sogar geholfen einige Funktionen und Anwendungen innerhalb der anderen Programme anzueignen, sodass ich inzwischen sogar in Zbrush arbeiten könnte.
Durch meine gesammelten Erfahrungen denke ich, dass solche Apps gerade für die Leute geeignet sind, welche bisher noch keine Erfahrung mit 3D-Modellierung gesammelt haben, es aber ausprobieren möchten. Wenn man wie ich jahrelang traditionell mit Polymer Clay modelliert hat, vergisst man leicht, wie entmutigend es sein kann, wenn man zum ersten Mal mit 3D-Modellier- oder Sculpting-Software arbeitet. Es ist eine völlig andere Art, seine Figuren umzusetzen und man muss sich erst einmal daran gewöhnen. Natürlich hilft einem die bisherige Erfahrung, wenn es z.B. um räumliches Vorstellungsvermögen oder Formen geht. Aber allein die Arbeit mit dem digitalen Pen und die vielen neuen Begriffe wie Multi Resolution, Voxel-Remesh, Dynamesh, Dinetopo, Vertex-Malerei oder Dynamic Tesselation müssen gelernt und verstanden werden.
Aber auch Menschen, die bereits Erfahrung im Bereich der digitalen Modellierung gesammelt haben und tagtaäglich mit Programmen wie ZBrush und Blender arbeiten, gesammelt habe und es evtl.können von der Modellierung auf einem Tablet profitieren. Die Projekte lassen sich nicht nur exportieren, um auf einem anderen Gerät und in einer anderen Software weiter zu arbeiten. Man kann sie anschließend auch wieder importieren und weiter an ihnen arbeiten, sie bemalen, rendern etc.
Vorgehensweise beim digitalen Modellieren
Die Schritte bei der digitalen Modellierung ähneln der des traditional Sculpting. Im ersten Schritt überlegt man sich i.d.R., was man modellieren möchte. Dies kann sowohl eine eigene Idee sein, als auch etwas, das es bereits gibt und das man nachbauen möchte. Hierzu ist es ratsam, sich Referenzbilder zu suchen (oder selbst anzufertigen), die einem während der Arbeit behilflich sein können. Das kann ein Foto, eine Skizze oder ein Video sein.
Bei der traditionellen Modellierung hänge ich mir hierzu immer 3-4 Bilder an meinen Arbeitsplatz. Diese Bilder zeigen das gewünschte Objekt aus allen Perspektiven: von hinten, vorne, links und rechts. So bekomme ich ein erstes Gefühl für die Form, Tiefe und Pose der Figur. Außerdem hänge ich mir oft noch zusätzliche Close-Up Bilder von einzelnen Körperteilen wie dem Kopf auf, da dieser sehr viele feine Details enthalten kann, die man auf einem großen Bild oftmals nicht erkennen kann.
Beim 3D-Sculpting am iPad läuft es ähnlich ab, nur dass man hier die Referenzbilder direkt als Hintergrundbild innerhalb der App verwendet. Dies hat den Vorteil, dass das zu modellierende Objekt jederzeit und haargenau auf die Form angepasst und mit dem Referenzbild abgeglichen werden kann. Hierzu kann man die Transparenz des Meshs erhöhen, wodurch das Objekt durchsichtig wird und das Referenzbild durchblicken lässt. Wenn man das Mesh nun genau an den Rändern des Refenzbildes anpasst, erhält man recht schnell die Form, die man braucht.
01. Blockout der primären Form mit Hilfe von Primitiven

Der Trick bei der Erschaffung von Kreaturen besteht im ersten Schritt darin, die Proportionen und die Anatomie möglichst schnell und vor allem simpel zu erfassen. Es geht hier nicht darum, sich bereits Gedanken um die Details zu machen. Dies kann man erreichen, indem man die ersten Formen schnell mit Primitiven (Kugeln, Röhren, Viereck etc.) erstellt, bevor man überhaupt mit dem eigentlichen Modellieren beginnt. Dieser Schritt wird auch „Blockout“ oder „Blocking out“ genannt. Die Primitive lassen sich durch Manipulation in alle erdenkliche Formen bringen und kombinieren. Der große Vorteil bei dieser Vorgehensweise ist, dass man die Form relativ schnell und einfach anpassen kann und seine Zeit nicht Details verschwendet. Das Blockout endet i.d.R. damit, dass die verschiedenen Primitive am Ende miteinander verschmolzen werden und somit eine einzige Form (mit einer eigenen Topology) ergeben. Innerhalb von Nomad Sculpt wird dies mit einem Voxel Remesh erreicht. In ZBrush heißt diese Funktion Dynamesh.
02. Sekundäre Form mit Hilfe von verschiedener Brushes

Nach dem Blockout und der Erstellung der Basis kommen die sekundären Formen dran. Dies beinhaltet die Erschaffung wichtiger Orientierungspunkte wie Muskeln, Sehnen und Gelenke. In diesem Schritt sollte jedes Körperteil in seiner Form und Position bereits festgelegt und bestimmt sein. Es geht hier weiterhin weniger um Details, sondern um die grobe Form. Wichtig ist, dass man versucht, mit möglichst wenig Polygonen zu arbeiten und so simpel wie möglich zu bleiben. Da in diesem Prozess häufig noch mit dem Move-Brush gearbeitet wird, ist es unumgänglich, hin und wieder einen Voxel Remesh zu machen, um die Topolgy neu zu berechnen. Durch den Move-Brush werden die Polygone nämlich sehr stark manipuliert, sodass die Topoloy dann keine saubere Bearbeitung mehr zulässt.
In dem Bild siehst du die Topology einer Sphere nach der Anwendung des Move Tools. Links ist die Sphere ohne und rechts mit anschließendem Voxel Remesh. Während die beiden „Ohren“ der linken Sphere hier nicht mehr wirklich viel Spielraum zur Manipulation bieten, ist es bei der rechten problemlos möglich.
Genau wie in ZBrush, Blender und Maya verfügen Nomad Sculpt und Forger über eine eigene Sammlung von Pinseln wie Clay, Flatten, Pinch, Crease, Inflate und sogar Stamps, um Alphas für z.B. Texturen hinzuzufügen. Mit Hilfe der Brushes und einer Kombination aus diesen, kannst du deinen 3D-Skulpturen eine zusätzliche Dimension verleihen und ihnen Leben einhauchen.
03. Tertiäre Formen – Erschaffung der Details
Im letzten Schritt der Modellierung sind die sogenannten tertiären Formen dran, also Details wie Hautporen, Runzeln, Schuppen, kleinere Hautfalten etc. Dies ist der letzte Schritt beim Modellieren und wird wahrscheinlich die meiste Zeit eurer Arbeit in Anspruch nehmen.
Während man beim Blockout und den sekundären Formen noch möglichst mit wenig Polygonen arbeitet, wird man hier sehr schnell mehrere millionen Polygonen benötigen. Dies liegt daran, dass die Topology für feine Details weit mehr Poylgone (quasi die einzelnen Kästchen) benötigt, als es beim Blockoput der Fall ist. Um die hohe Polgyonzahl zu bewerkstelligen, verwendet man in diesem Schritt nicht mehr die Funktion Voxel Remesh, sondern die Multiresolution.
Hinweis: Es sollte möglichst vermieden werden, im späteren Arbeitsprozess zwischen den beiden Funktionen Voxel Remesh und Multiresolution hin und her zu wechseln. Da mit Multiresolution oftmals Polygone in millionenhöhe benutzt werden und das mit Voxel Remesh nicht möglich ist, bedeutet der Wechsel oftmals auch ein Verlust an Details.
Es gilt:
- Verwendung von Voxel Remesh bei Blockout und sekundären Formen
- Verwendung von Multiresolution beim Feintuning und erstellen der Details (möglichst vermeiden, das Move-Tool zu verwenden, da es die Topology verzerrt)
Im dritten Schritt wird sehr häufig der Gebrauch des Stamp-Tools in Kombination mit Alphas gemacht. Alphas sind vereinfacht ausgedrückt Bilder mit Schwarz/weiß Werten, welche die Oberflächenerhebung in positiver oder negativer Richtung verändern können. Diese 2D-Graustufentexturen können in jeder Art von 2D-Editor erstellt oder geändert werden. Für die Erstellung von Alphas nutze ich die App ProCreate.
04. Matcaps & Bemalung

Sowohl Nomad Sculpt als auch Forger bieten die Verwendung von Matcaps an. Matcap steht für „Material Capture“ und ist ein Bild, das als Bildtextur verwendet wird, um ein ganzes Material einschließlich Beleuchtung und Reflexionen in 3D-Anwendungen zu simulieren. Die häufigste Anwendung ist das Modellieren von Objekten, aber es kann auch in Spielen für Objekte verwendet werden, die immer beleuchtet sein sollen, oder um spezielle Effekte wie Röntgenstrahlen oder Geister zu erzielen.
Das Bild besteht aus einer einfachen Kugel, die auf die Normalen des Objekts in Bezug auf die Kamera abgebildet wird. Wenn sich die Kamera um das Objekt bewegt, bewegen sich die Reflexionen und Glanzlichter um das Objekt, als würde sich das Objekt und nicht die Kamera bewegen. Mit anderen Worten: Wenn das Objekt eine Kugel wäre, ist es egal, aus welchem Winkel man es betrachtet. Die Schattierung, Farben, Reflexionen usw. würden immer an der gleichen Stelle angezeigt werden. Aber wenn ein Matcap auf nicht-sphärische Formen angewendet wird, reagiert das Material, als ob es aus einem komplexen Material bestehen würde.
Matcaps sind beim Sculpting sehr nützlich. Sie funktionieren bis zu einem gewissen Grad beim Rendering, da das Material nicht mit der Beleuchtung der Szene interagiert und die Reflexion anderer Objekte in der Szene am besten für den Nachweis von Konzepten verwendet wird. Es kann und wird, verwendet, um spezielle Effekte in Spielen zu erreichen. Es ist eine gute Zeitersparnis, wenn man nicht die Zeit hat, komplexe Beleuchtungen oder Materialien einzurichten.
Beide Apps haben zudem eine Malfunktionen, mit denen du die Texturen direkt auf das Modell aufmalen kannst.
05. Posieren des Modells

Weder in Nomad Sculpt noch in Forger gibt es eine Rigging-Option, aber du kannst Bereiche ausblenden und mit einem Gizmo Teile des 3D-Modells sehr effektiv in die gewünschten Posen drehen. Sollte es doch einmal etwas auzfwendiger sein und man möchte die Figur anderweitig bearbeiten, lass sich die Projekte auch leicht in andere Programme exportieren und dort weiter bearbeiten.
06. Hard-Surface Techniken

3D-Modellierung auf dem iPad ist nicht nur auf organische Formen beschränkt. Man kann inzwischen auch sehr eindrucksvolle Modelle mit harten Oberflächen erstellen. In Nomad gibt es eine Voxel-Remesh-Option, mit der man die Objekte trimmen, teilen und Kanten abschneiden kann. So lassen sich harte und glatte Objekte erstellen, mit denen man problemlos Roboter, Raumschiffe, Fahrzeuge und sogar Umgebungen wie Stadtlandschaften nachbauen kann.